SwissTiming OSV-STAR fällt nach 10 Jahren aus - ist da was zu retten?

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30.03.2023 19:23

SwissTiming OSV-STAR defekt?

Nach ungefähr 10 Jahren startet die OSV-Star nicht mehr und wird auch nicht mehr von der zugehörigen PC- Software gefunden. Reparatur unmöglich, Neukauf steht an.

Hm - gut 20.000 € wegwerfen und neu kaufen?
Na ja, wenn die dann ohnehin verschrottet werden muss, kann man ja auch mal vorsichtig hineinschauen:

Vorsichtiges Zerlegen der OSV-Star

Stecker 'raus, Akku herausnehmen!

Beim vorsichtigen (und ESD-gerechten) Zerlegen der Kamera kommt ein kleiner Industrie-PC chinesischen Ursprungs an's Tageslicht, zu welchem keinerlei Dokumentation auftreibbar ist (es gibt mit gleicher Bezeichnung noch ein PC- Motherboard, das aber völlig anders aussieht).
Auf dieses Motherboard aufgesteckt ist ein FPGA- Board, das große Teile des Motherboards verdeckt. Das muss also mal vorsichtig herunter genommen werden. Und was findet man dort?: Da ist eine 3V Lithium- Knopfzelle, die die Spannung für das BIOS bereitstellen soll. Und völlig klar - die hält so um die 10 Jahre und Nachmessen ergibt: die ist leer und deshalb soll die Kamera Schrott sein. Hm - sehr nachhaltig und umsatzfördernd.

Die 3V- Batterie ist schnell getauscht und das kostet ein paar Cent.

Aber danach geht die Kamera trotzdem nicht. Ja klar - wir kennen das ja von jedem PC: Hat das BIOS einen Prüfsummenfehler, dann muss man F1 drücken, um diesen Fehler zu bestätigen und danach muss man noch im BIOS zumindest Datum und Uhrzeit neu setzen. Ist die BIOS- Batterie richtig leer, dann muss man ggf. auch ein paar Einstellungen im BIOS entsprechend der verbauten Hardware neu setzen.
Tja, aber dazu braucht man Tastatur und Bildschirm. Jetzt wird's spannend - an ein PC- Board kann man gewiss Bildschirm und Tastatur anschließen, aber wo und wie? Standardschnittstellen (PS/2, VGA) sind nicht zu sehen und ein Manual gibt es nicht.

Hier muss nun ein bisschen Fachwissen und elektronisches Feingefühl angesetzt werden. An einer Seite lässt sich ein 16-poliger Wannenstecker für Flachkabel finden und da steht auch was von VGA neben dem Stecker. Es ist naheliegend, dass man dort per Flachkabel einen 15-poligen SubD-VGA-Stecker anbringen kann.
Hm, geht aber nicht. Warum nicht? Mit etwas Messtechnik kriegt man heraus, dass der Hersteller des Motherboards übersehen hat, dass die beiden Seiten des Steckers vom Flachkabel abwechselnd bedient werden. Die Pin- Nummern sind also nicht reihum vergeben, sondern im Zickzack ab Pin1. Auf diesem Board sind sie aber reihum nummeriert, also muss man das Kabel komplett selbst bauen.

O.k., wenn wir da jetzt einen VGA- Monitor anstecken, dann haben wir sogar schon mal das BIOS- Bild auf dem Bildschirm. Aber ohne Tastatur geht nichts ...

Jetzt kommen die nächsten beiden Stecker auf dem Board in's Spiel, die wieder nach Gutdünken des Herstellers verkabelt sind. Es sind zwei vierpolige Feinstecker genau diagonal gegenüber auf dem Board. Der äußere davon ist der Anschluss für eine PS/2- Tastatur. Auch hier hilft wieder ein bisschen Messtechnik und KnowHow herauszubekommen, welche Pins da an welche Anschlüsse einer PS/2- Buchse müssen. Es sind ein Masse- Anschluss, ein 5V- Stromversorgungsanschluss sowie eine Taktleitung und eine Datenleitung. Welche davon welche ist, muss man anhand des Signalbilds beim Einschalten herausbekommen.
Aber Vorsicht!: PS/2 ist nicht groß abgesichert und sehr ESD- empfindlich. Wäre schade, wenn man hier so kurz vor dem Ziel noch die Kamera himmeln würde ...

BIOS läuft, jetzt einstellen ...

Eigentlich sollte jetzt reichen, Datum und Uhrzeit zu stellen und dann die Kamera einfach mal neu zu starten.

Danach kann man die BIOS- Ausschriften beim Booten beobachten und erst einmal schauen, ob die Kamera nach ca. 90..120 Sekunden hoch kommt. Man sieht dann den Desktop von Windows NT. Die Kamera bedient zwei Netzwerkschnittstellen 192.168.0.1 und 192.168.0.2, wobei nur die 192.168.0.1 nach außen sichtbar wird.

Ich hatte zwei Kameras zur Reparatur. Beide verhielten sich hier unterschiedlich. Die eine wollte partout eine DHCP- Zuweisung und ein Net-Boot machen, was man ihr im BIOS aber abgewöhnen kann.
Die zweite machte das nicht, bei der hat aber die Netzwerkschnittstelle immer beim ersten Einschalten Probleme, sich mit dem Notebook zu verbinden. Beim zweiten Einschaltversuch klappt's dann aber zuverlässig.

Die folgenden Einstellungen nur ändern, wenn es Probleme mit dem Starten gibt.
Bei mir hat geholfen:

  • Bootreihenfolge so ändern, dass kein Netzwerk-Boot mehr versucht wird
    (dauert sonst ewig, auch weil sich das Board bei vorhandenem ETH erst noch eine DHCP- Adresse holen will)

  • ggf. später beim Booten mit <SHIFT/F10> unterbrechen und statt INT19 --> OFF einstellen. Braucht man aber evtl. nicht machen, wenn das Netzwerk- Booten im BIOS erfolgreich abgestellt werden konnte.
    Manchmal hilft auch INT18 -- es ist unklar, ob dieser Interrupt später von Windows NT benötigt wird. Vermutlich wird er nicht gebraucht.

Vorbeugen gegen Schrotten der Kamera

Da der Ausfall nach 8..12 Jahren praktisch ein Bestandteil des Produkts ist, sollte man vorbeugen und rechtzeitig die BIOS- Batterie wechseln - spätestens  8 Jahre nach Produktionsdatum.

Läuft die Kamera noch, dann kann man die Kamera im ausgeschalteten Zustand (auch Akku herausnehmen!) zerlegen und das aufgesteckte FPGA- Board abbauen, die BIOS- Batterie aber noch drin lassen!

Alles schön ESD-gerecht abdecken, nur die Knopfzelle zum Wechseln frei lassen.
Jetzt die Kamera mit Strom versorgen und gleich vorsichtig unter Spannung die Knopfzelle wechseln. Sobald die neue Knopfzelle drin ist, Stromversorgung  wieder abziehen.

Nun die Kamera wieder zusammenbauen, Akku 'rein, Stromversorgung einschalten und schauen, ob alles wunschgemäß geht.
Glückwunsch - auf die nächsten 8 Jahre!

Tags: OSV-Star
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